Dieser Artikel stellt die beiden Positionen der letzten beiden Blogartikel einander gegenüber. Nicht, um eine davon zu widerlegen, sondern um zu verstehen, was wirklich auf dem Spiel steht.
1. Die kritische Perspektive: Der KI-Boom bleibt fragil.
Aus der skeptischen Sicht gleicht die aktuelle Entwicklung der KI einem Rennen auf ziemlich dünnem Eis. Zwar beeindruckt die Technologie mit ihren Fähigkeiten, doch das wirtschaftliche Fundament steht nach wie auf tönernen Füßen.
Viele KI-Unternehmen schreiben hohe Verluste, während die Kosten für Training und Betrieb weiter steigen. Modelle wie GPT, Claude oder Gemini verschlingen enorme Summen – und bislang gibt es nur wenige Geschäftsmodelle, die diese Investitionen tatsächlich refinanzieren können. Gleichzeitig fehlt der Branche eine klare "Killer-App", etwas, das die breite Masse zwingend braucht und das damit zuverlässig große Einnahmen erzeugt.
Noch bedrohlicher wirkt die strukturelle Abhängigkeit von einem einzigen Hardware-Lieferanten: NVIDIA. Fast alle großen KI-Modelle laufen auf dieser Hardwarebasis und einem Software-Stack, der als De-facto-Standard die Branche dominiert. Das macht KI zu einer Monokultur: effizient, aber hochgradig anfällig für Engpässe, geopolitische Krisen oder Preisschocks.
Aus dieser Perspektive ist der KI-Boom kein Naturgesetz, sondern eine spekulative Überhitzung. Ein zu großer Schreckmoment – ein Lieferkettenproblem, ein Kapitalrückzug, ein technologischer Bruch – könnte eine Kettenreaktion auslösen. Die Technologie bliebe bestehen, doch der wirtschaftliche Höhenflug wäre vorbei.
Die globalpolitische Lage, insbesondere der Konflikt zwischen China und Taiwan spielen diesbezüglich eine ganz besondere Rolle.
2. Die optimistische Perspektive: KI als unumkehrbare Transformation.
Auf der anderen Seite steht die Überzeugung, dass KI nicht nur bleibt, sondern den kommenden Jahrzehnten ihren Stempel aufdrücken wird - und zwar in noch deutlicher Weise als es das WWW und die Revolution des iPhones in den letzten Jahrzehnten bewirkt haben.
Schon heute zeigt sich, dass KI weit mehr ist als ein Hype-Phänomen. Sie schreibt, analysiert, erkennt Muster, übersetzt, diagnostiziert, plant – und tut dies zunehmend in einer Qualität, die menschliche Arbeit nicht ersetzt, sondern erweitert. Die eigentliche "Killer-App" der KI ist daher vielleicht nicht ein bestimmtes (heute noch nicht verfügbares) Produkt, sondern ihre breite Nutzbarkeit in nahezu allen Bereichen des Lebens. Von Neuralink1 mag ich da gar nicht reden, mir würde schon ein nett gestalteter humanoider Roboter reichen um endlich bestimmten häuslichen Diskussionen zu entgehen …
Die gewaltigen Investitionen in Rechenzentren, Chips und Forschung sind aus dieser Sicht kein Zeichen einer Blase, sondern Ausdruck eines historischen Infrastrukturaufbaus. Wie beim Eisenbahnnetz, der Frühphase des Internets oder der Elektrifizierung kommen die Gewinne erst später – aber sie werden kommen. Außer in Deutschland, das die Entwicklung wieder einmal grandios verschläft.
Auch die Abhängigkeit von NVIDIA wird auf dieser Seite nicht als Gefahr, sondern als Übergangsphase gesehen. Technologien beginnen fast immer in Monokulturen, bevor sie sich ausdifferenzieren. Und genau das geschieht bereits: mit AMD, Google, spezialisierten KI-Chips, Edge-KI und neuen Formen der Modellarchitektur.
Ich bin überzeugt, dass KI gerade erst am Anfang einer jahrzehntelangen Entwicklung steht, deren wahre Wirkung erst sichtbar wird, wenn der Hype abklingt und die Technologie in den Alltag einsickert – so selbstverständlich wie Strom oder Internetzugang. Ich b in allerdings auch Avon überzeugt, dass wir erst dann sehen werden, welche Folgen wir uns mit KI als Gesellschaft eingehandelt haben .
3. Synthese: Zwei Wahrheiten – und ein gemeinsamer Kern.
Beide Sichtweisen widersprechen sich weniger, als es scheint.
Der Pessimist erinnert uns daran, wie zerbrechlich der aktuelle Boom ist. Der Optimist zeigt, warum die Technologie dennoch langfristig nicht aufzuhalten ist.
Die wahrscheinliche Zukunft liegt zwischen beiden Polen:
Ja, die aktuelle Phase ist überhitzt.
Die Bewertungen vieler Unternehmen sind überzogen, die Abhängigkeit von NVIDIA ist real, und es fehlt an tragfähigen Geschäftsmodellen. Eine Marktkorrektur – vielleicht sogar eine harte – ist nicht nur denkbar, sondern fast erwartbar.
Und ja, die Technologie selbst wird trotzdem bleiben.
KI hat bereits heute echte, spürbare Wirkung. Sie wird Arbeitsabläufe verändern, Forschung voranbringen und kreative Arbeit erweitern – egal, welche Firmen die nächste Finanzierungsrunde überleben.
Das Entscheidende ist:
Der Boom mag wanken – aber die Welle rollt weiter.
So wie die Dotcom-Blase2 nicht das Internet zerstörte, sondern dessen wahre Expansion erst möglich machte, könnte auch eine KI-Korrektur der Beginn einer stabileren, reiferen und breiter getragenen Phase sein.
Schluss: Der realistische Blick nach vorn
Der KI-Boom ist sowohl riskant als auch vielversprechend. Er ist getrieben von Visionen, überhöhten Erwartungen – und gleichzeitig von echten, tiefgreifenden technologischen Fortschritten.
Die Frage ist also nicht, ob KI bleibt. Sie bleibt.
Die eigentliche Frage lautet:
Welche Teile des heutigen Ökosystems den Übergang in die langfristige Realität schaffen – und welche im Rückblick nur der überhitzte Auftakt einer viel größeren Entwicklung waren.
Genau in dieser Spannung zwischen Fragilität und Zukunftskraft wird sich entscheiden, wie wir KI in den kommenden Jahrzehnten erleben.
Neuralink ist ein Unternehmen von Elon Musk, das sogenannte Brain-Computer Interfaces (BCIs) entwickelt – also Technologien, die das menschliche Gehirn direkt mit Computern verbinden. ↩︎
Die Dotcom-Blase war eine große Spekulationsblase an den Aktienmärkten zwischen 1997 und 2001, ausgelöst durch die damals neue Internetwirtschaft. Viele Anleger glaubten, dass jede Firma, die irgendetwas mit dem Internet zu tun hatte, automatisch extrem erfolgreich werden würde. ↩︎
