Gleich hinter dem Polarkreis liegt Jokkmokk, eine Stadt, die man wohlwollend als „zweckmäßig“ bezeichnen kann. Sie wirkt nüchtern und auf das Notwendigste reduziert – aber immerhin beherbergt sie das Ájtte-Museum, eines der bedeutendsten Museen zur samischen Kultur und zur Geschichte Nordskandinaviens. Auch eine der vielen typischen Holzkirchen gibt es hier, schlicht und unaufdringlich ins Stadtbild eingefügt.
Polarkreis - ziemlich unspektakulär
Dann weiter nach Norden auf der E45, die hier “Inlandsvägen” genannt wird. Nicht gerade unsere bevorzugte Strecke – wir lieben es schotterig, einsam, wild – aber auf dem Weg zum Nordkap bleibt aber kaum eine Alternative. Zwar hat unser Grand California Allrad und AT-Reifen, aber ein richtiger Offroader ist er nicht. Für moderate Pisten reicht’s, aber nicht für die ruppigen Abschnitte, die abseits der Hauptachsen auf uns warten würden.
Auf der Straße begegnen uns die ersten Rentiere, gelassen trottend, als sei das Asphaltband für sie gebaut worden. Nächster Halt: Gällivare – keine Schönheit, geprägt vom Bergbau, genauer gesagt vom Kupfer. Hier bewegt sich eine ganze Stadt: Wegen der untertägigen Absenkungen wird ein ganzer Stadtteil peu à peu nach Süden verlegt – ein logistisches Mammutprojekt.
Je weiter wir nach Kiruna vordringen, desto spärlicher wird die Besiedlung – und umso überraschender wirkt die fast großstädtische Anmutung dieses Ortes. Verkehr, Baustellen, moderne Gebäude – mitten im lappländischen Nichts. Auch Kiruna selbst ist im Wandel: Wegen der instabilen Böden durch den Erzabbau wird das Stadtzentrum um fünf Kilometer nach Osten verlegt. Das neue Zentrum ist – wie so vieles heute – modern, effizient, etwas gesichtslos. Aber immerhin besser und gefälliger als die klonhafte Architektur zwischen Hamburger Hafencity und Heidelberger Bahnstadt, die völlig gesichtslos überall stehen könnte.
Kiruna - Stadtzentrum
Im alten Teil der Stadt steht noch die berühmte Holzkirche, errichtet im Stil einer samischen Kote. Sie ist ein architektonisches Kleinod – doch wir stehen vor einem Bauzaun. Die Kirche wird aktuell transportfähig gemacht. Der Plan: Sie wird im August als Ganzes um drei Kilometer versetzt, ein außergewöhnliches Unterfangen. Wer sich dafür interessiert, findet hier beeindruckende Einblicke in das Projekt: Kiruna – eine ganze Stadt zieht um.
Wer will, kann sich in Kiruna mit der Seilbahn auf eine der Abraumhalden bringen lassen und den Blick über das riesige Bergbaugebiet schweifen lassen. Wir wollen lieber wieder raus – in die Weite, in die Stille.
Kiruna - Blick auf riesige Abraumhalden
Weiter Richtung Karesuando, ein Grenzort zu Finnland. Die Wälder werden lichter, die Landschaft noch karger, die Straßenschilder zunehmend zweisprachig – Samisch und Norwegisch oder Finnisch. Und man begegnet nur noch wenigen Autos, dafür mehr und mehr der Weite.
Grenzbrücke nach Finnland
Auf dem Weg nach Kautokeino ist die Straße von Wäldern und Mooren gesäumt. In dem kleinen Ort entdecken wir einen besonderen Schatz: die Juhls Silvergallery, ein von deutschen Auswanderern schon Ende der 50er aufgebautes Zentrum für samisches – oder zumindest davon inspiriertes – Silberhandwerk. Das Gebäude selbst ist ein architektonisches Kleinod, innen wie außen künstlerisch durchgestaltet, mit einem Hauch Exzentrik. Ein Ort, der inspiriert und zum Verweilen einlädt.
Juhls Silvergallery
Dann weiter nach Karasjok, dem kulturellen Zentrum der norwegischen Samen. Hier sitzt das Sami-Parlament – ein Symbol für den politischen Anspruch der indigenen Bevölkerung, auch wenn es faktisch wenig Entscheidungsgewalt besitzt. Sehenswert ist das kleine Freiluftmuseum, das traditionelle samische Gebäude und Lebensweisen zeigt. Die Geschichte des Ortes ist nicht nur von Kultur geprägt: Am Ende des Zweiten Weltkriegs hinterließen deutsche Truppen tiefe Narben – in Karasjok existierte ein Konzentrationslager, und beim Rückzug wurde der Ort nahezu vollständig zerstört.
Ein Hauch Sami-Kultur in Karasjok
Immer weiter nach Norden: Der Brennelvfjord, der Olderfjord, endlose Weiten, karge Hochebenen. Die Temperaturen sinken – laut Einheimischen war der Juni selten so kalt. Die vielbeschworene Klimaerwärmung macht hier offenbar eine Pause.
Brennelvfjord kurz vor Mitternacht
Olderfjord
Dann liegt es vor uns: Hammerfest – für mich ein Sehnsuchtsort seit Jugendtagen. Damals wollte ich mit dem Fahrrad hierher fahren, bis an den Rand der Welt; heute geht das nicht mehr wegen meiner morschen Knochen. Hammerfest teilt das Schicksal vieler nordnorwegischer Orte: 1944 fast vollständig zerstört von der deutschen Wehrmacht im Zuge der „Verbrannten Erde“-Taktik. Heute ist die Stadt der nördlichste eisfreie Hafen Europas, abgesehen von Murmansk. Der Wiederaufbau in den 1950er und 60er Jahren hat ihr ein modernes, teils funktionales Gesicht verliehen – aber die Lage, direkt am Nordmeer, bleibt spektakulär.
Hammerfest - Sehnsuchtsort