Hammerfest - mehr als ein Ort im Norden

Und doch hat dieser Ort bei mir einen ganz anderen, tieferen Eindruck hinterlassen. Nicht nur wegen der endlosen Weite des Meeres oder der Mitternachtssonne, sondern wegen dessen, was hier einmal war – und was nicht mehr ist. Im Gjenreisningsmuseet for Finnmark og Nord-Troms, dem Museum für den Wiederaufbau, lässt sich erfahren, wie viel diese Stadt erleiden musste. Und wie aktuell diese Geschichte plötzlich wieder wirkt.

Norwegen war von 1940 bis 1945 von der deutschen Wehrmacht besetzt. Als die Rote Armee im Herbst 1944 in den äußersten Norden vorrückte, begannen die deutschen Truppen ihren Rückzug – begleitet von einem Befehl, der heute fassungslos macht: * "Verbrannte Erde"*. Alles, was dem Feind hätte nützen können, sollte zerstört werden. Und so wurde Hammerfest ab dem 25. Oktober 1944 systematisch dem Erdboden gleichgemacht. Nur wenige Gebäude, wie die kleine Friedhofskapelle, blieben stehen. Über 70.000 Menschen wurden zwangsevakuiert, ihre Heimat in Trümmern zurückgelassen. Was das mit einer Region, mit Familien, mit einem Land macht – das kann man hier spüren.

Angesichts der heutigen politischen Töne, dem Ruf nach „Kriegstüchtigkeit“ und der martialischen Rhetorik im Namen "unserer Demokratie", wird dieses Kapitel der Geschichte plötzlich wieder greifbar. Es mag unbequem sein – aber vielleicht müssen wir uns genau jetzt daran erinnern, was Krieg in Wahrheit bedeutet: Zerstörung, Vertreibung, Tod. Und vielleicht sollten gerade jene, die so laut nach Aufrüstung rufen, einmal innehalten – und fragen, ob sie wirklich bereit wären, ihre eignen Kinder für solche Ideale in den Kampf und damit in die wahrscheinliche Vernichtung zu schicken.

Hammerfest ist nicht nur ein Ort am Rand der Welt. Es ist auch ein Spiegel unserer Zeit. Und ein stiller Ruf, der sagt: Nie wieder.

Hat Strack-Zimmermann eigentlich Kinder...?

Hammerfest 1945 - Fridtjof Johan Jacobsen/Finnmark Fylkesbibliotek. Lizenz: CC BY ND 2.0

Das moderne Hammerfest


Weite, Wind und ein Name: Repvåg

Von Hammerfest aus führt die Straße weiter gen Norden - immer am Fjörd entlang. Karger wird die Landschaft, offener der Himmel. Hinter jeder Kurve scheint das Land sich weiter zu entblättern – bis kaum mehr bleibt als Wind, Stein und Wasser. Irgendwann taucht ein Schild auf: Repvåg.

Ein Ort, der leicht zu übersehen ist. Nur ein paar Häuser, verstreut am Ufer. Kein Supermarkt, keine Tankstelle, kein Lärm. Immerhin ein reichlich trauriges Hotel. Und doch trägt dieses unscheinbare Fischerdorf eine Geschichte in sich, die schwer wiegt.

Repvåg war einst ein lebendiger Handelsposten, v.a. verkehrten hier russische Pomoren. Der Ort florierte, war Knotenpunkt zwischen Kulturen, Sprachen, Weltanschauungen – heute erinnert nur wenig daran. Ein paar alte Gebäude, viele stillgelegt. Die alte Handelsniederlassung gibt es nicht mehr.

Auch Repvåg fiel 1944 dem Befehl zur „verbrannten Erde“ zum Opfer. Was von der alten Zeit blieb, wurde ausgelöscht – und mit ihr ein Stück kultureller Verbindung zwischen Ost und West. Nach dem Krieg wurde das Dorf langsam wieder aufgebaut, aber es erreichte nie mehr seine frühere Bedeutung. Heute leben hier kaum noch 20 Menschen. Es ist ein Ort, der sich fast aufgelöst hat – wie ein Schatten der Vergangenheit, der noch einmal kurz sichtbar wird, wenn das Licht der Mitternachtssonne flach über die Hütten streicht.

Und doch ist gerade diese Stille beredt. Sie erzählt von einer Welt, in der Orte wie Repvåg einst wichtig waren. Von einer Zeit, als Begegnung noch Handel hieß, nicht Sanktion. Von einfachen Menschen, die zwischen Großmächten lebten – und von ihnen zermalmt wurden.

Repvåg - oder das, was davon übrig ist

Wer hierherkommt, findet keine Sehenswürdigkeiten im klassischen Sinn. Aber vielleicht etwas Wertvolleres: eine Ahnung davon, was wir verlieren, wenn wir vergessen, wie zerbrechlich Zivilisation ist. Und wie dünn die Decke der Gegenwart über den Wunden der Geschichte liegt.

Repvåg ist kein Ziel, das man „abhakt“. Es ist ein Ort, der, so unscheinbar er ist, nachwirkt. Ein stiller Zwischenton auf dem Weg zum Nordkap. Und vielleicht auch ein Ort, an dem man sich selbst eine Frage stellt: Was bleibt, wenn alles andere gegangen ist?

Auf dem Stellplatz oberhalb eines Fjords finden wir Campingfreunde, die uns mit einem improvisierten Landstromkabel aushelfen - unseres hatte einen Kurzschluss, den wir nicht reparieren konnten. Diese Nachbarn, einige Jahre älter als wir, reisen seit Jahren in ihrem Wohnmobil monatelang durch Europa. Im Winter in den Süden, im Sommer in den Norden. Ob das ein Konzept für unsere nächsten Jahre sein könnte? Mal sehen...


Ziel erreicht - doch nicht zu Ende

In Honningsvåg, dem nördlichsten Städtchen Norwegens, besorgen wir ein neues, sündhaft teures Landstromkabel – notgedrungen. Von dort aus ist es nicht mehr weit: Die Landschaft wird spektakulärer, die Straße öffnet immer neue Ausblicke auf Fjorde, Hochebenen und steinübersäte Ebenen. Und irgendwann taucht es auf: das Nordkap.

Geografisch liegt das Kap auf der Insel Magerøya und ragt als 300 Meter hohe Steilküste über das Nordpolarmeer hinaus. Streng genommen ist es nicht der nördlichste Punkt Europas – dieser liegt etwa 1,5 Kilometer weiter westlich auf dem benachbarten Felsen Knivskjellodden –, aber das Nordkap ist durch seine Erreichbarkeit mit dem Auto zur Ikone geworden.

Seit 1956 führt eine Straße von Süden bis nach Honningsvåg. Der eigentliche Zugang zur Insel wurde jedoch erst 1999 deutlich erleichtert – durch den Bau des Nordkapptunnels, eines knapp 7 Kilometer langen Unterwassertunnels, der sich bis zu 200 Meter unter den Meeresspiegel senkt.

Der Tourismus begann am Nordkapp schon früh: Bereits 1873 brachte ein Dampfschiff des britischen Reiseveranstalters Thomas Cook erste Gäste ans Nordkapp. Damals noch per mühsamem Fußmarsch vom Wasser aus, später mit dem Bus, heute im eigenen Wohnmobil – das Kap ist bis heute eine Art Bühne für individuelle Reiseträume.

Der Stellplatz ist teuer, das Museum auch – aber letztlich ist es die Straße selbst, die den Weg ausmacht. Und die ist kostenlos.

Wider Erwarten ist es am Nordkapp gar nicht so überlaufen. Die Menschen verteilen sich auf der Weite der Hochebene. Im Nordkapphallen-Museum verweilen wir länger als gedacht – Ausstellungen zur Geschichte des Kaps und eine Panoramafilmprojektion über die Jahreszeiten hier oben machen den Besuch lohnend. Und in der kleinen Kapelle, die dazugehört, sitzen wir eine Weile. Inmitten der rauen Landschaft, unter dieser weiten Himmelsdecke, bin ich einfach nur dankbar: dass ich hier sein darf.

Eindrücke vom Nordkapp


Die Rückfahrt beginnt

Das Nordkap ist erreicht. Nicht als lang ersehntes Traumziel, aber als ein Ort mit Bedeutung – ein Fluchtpunkt aus früheren Jahren, der in Gedanken oft weiter entfernt lag als auf der Landkarte. Jetzt stehen wir hier, haben es gesehen, gespürt, sind angekommen. Und doch ist damit nichts zu Ende – im Gegenteil: die Rückreise beginnt.

Langsam machen wir uns wieder auf den Weg nach Süden. Kein hastiger Abschied, sondern ein allmähliches Zurückgleiten – durch die Weiten Finnlands, entlang der Seen und Wälder, weiter über das Baltikum mit seinen stillen Stränden und alten Städten, schließlich durch Polen, wo der Herbst dann wohl schon anklopfen wird.

Noch sind es viele Wochen bis nach Hause. Bis Ende September soll die Reise andauern. Und wer weiß – vielleicht liegt das eigentliche Ziel dieser Reise gar nicht im Norden, sondern irgendwo dazwischen, unterwegs, im Dazwischen zwischen Aufbruch und Rückkehr.

St. Johannes-Kapelle im Nordkapp-Museum