Endlich Kontrolle. Endlich kein Produkt mehr....
...Oder doch nicht?
Digitale Selbstbestimmung durch datenschutzfreundliche Smartphones – eine Illusion?
Nach dem Lesen von “Permanent Record 2.0” mag der Impuls naheliegen, zu handeln. Wer nicht ins Analoge fliehen will (oder kann), greift vielleicht zu einem scheinbar „sicheren Smartphone“ – einem Volla Phone, einem Above Phone, einem Librem 5. Die Versprechen sind groß: Google-frei, quelloffen, datensparsam, selbstbestimmt. Endlich Kontrolle. Endlich kein Produkt mehr.
Doch die Wahrheit ist: Diese Geräte sind – bei aller Sympathie für ihre Entwickler – digitale Kosmetik auf einem dysfunktionalen Körper. Sie sind Pflaster auf einer offenen Wunde, deren Infektion längst systemisch ist.
Die strukturellen Grenzen von “sicheren” Smartphones
Selbst wenn ein Gerät keine Google-Dienste nutzt, keine Standortdaten sendet, keine Werbung ausspielt – es bleibt eingebunden in eine Infrastruktur, die ganz auf Kontrolle, Verhaltensauswertung und Datenverwertung ausgerichtet ist.
- Funkzellen, WLAN, IP-Adressen
Schon beim Einschalten des Geräts kommunizierst du mit der Umgebung: Funkmasten, Router, DNS-Server. Selbst ohne Apps bist du lokalisierbar, identifizierbar, korrelierbar – spätestens, wenn du dich ins Netz einwählst.
- Interaktionsdaten & Metadaten
Auch “sichere” Apps wie Signal oder Threema mögen Inhalte verschlüsseln. Aber wer mit wem wann kommuniziert, bleibt oft sichtbar. Und das reicht für ein exzellentes Verhaltensprofil.
- Drittanbieter-Inhalte
Du kannst dein Betriebssystem säubern, deine App-Auswahl kuratieren – aber sobald du Websites besuchst, Dienste nutzt, Medien konsumierst, landet dein digitaler Schatten wieder in der Matrix der Werbenetze, Tracker, Content-Filter und KI-Auswertungsmaschinen.
Das Problem ist nicht (nur) dein Smartphone
Das Volla Phone oder das Above Phone mögen weniger Daten senden – aber sie verändern nichts an der Struktur der digitalen Welt, in der jede Handlung ein interpretierbares Signal ist. Selbst der Versuch, sich zu entziehen, wird zum Signal.
- Du nutzt F-Droid? – Aha, technikaffin. Wahrscheinlich systemkritisch.
- Du verschlüsselst E-Mails? – Auffällig. Vielleicht hast du etwas zu verbergen.
- Du nutzt kein WhatsApp? – Sozial auffällig. Randgruppenindikator.
Diese Geräte machen dich nicht unsichtbar – sie machen dich anders sichtbar.
Die tiefe Falle des “Selbstschutz-Narrativs”
Die Erzählung vom “digital mündigen Bürger”, der sich mit etwas Know-how, Disziplin und den richtigen Tools schützen kann, ist bequem – aber trügerisch. Sie verlagert die Verantwortung vom System auf das Individuum. Und sie verschleiert, dass die eigentlichen Machtzentren – Infrastrukturbetreiber, Big Tech, politische Interessen – unberührt bleiben.
Ein Volla-Phone schützt dich nicht:
- Vor der Logik algorithmischer Sortierung
- Vor dem KI-basierten Profiling durch Dritte
- Vor der gesellschaftlichen Normalisierung digitaler Totalvermessung
Fazit: Ein gutes Gewissen – aber keine Selbstbestimmung
Wer ein datenschutzfreundliches Smartphone nutzt, verliert nichts – aber gewinnt auch nichts Entscheidendes zurück. Es ist ein ehrenwerter Schritt – aber kein Ausweg.
Die Flucht ins Volla-Phone ist keine Rückeroberung der Freiheit.
Sie ist ein digitales Fasten innerhalb des Überflusses – lobenswert, aber machtlos.
Was bleibt?
Wenn du ein Volla- oder Above Phone nutzt, tue es bewusst. Aber sei dir ebenso bewusst: Du veränderst damit nicht das Spiel – du wechselst nur die Farbe der Spielfigur.