Rund um den Vänern – Schwedische Kontraste
Nach dem Vättern zieht es uns zur Habo Kyrka, einer Holzkirche aus dem 18. Jahrhundert, die von außen schlicht wirkt – und innen mit prachtvoller Malerei überrascht. Ein Gesamtkunstwerk aus Holz, Farbe und Stille.
Deckengemälde in der Habo Kyrka
Weiter nach Hjo, ein charmantes Örtchen mit gut erhaltenen Holzhäusern aus dem 19. Jahrhundert. Manche davon könnte man sich gut als Lebensort vorstellen – Holzbalkon, Blick auf den See, und ein bisschen Patina.
Holzhaus an der Strandpromenade von Hjo
In Mariestad dann keine architektonische Offenbarung – obwohl der Reiseführer anderes versprach. Aber ein Konzert in der Domkirche macht den Stopp lohnenswert. Eine ältere Dame spricht uns an, „ob wir nicht mitkommen wollen“. Wir lassen uns „nötigen“. Und landen mitten in einem Abend schöner klassischer Musik. Danke dafür.
Unser Stellplatz hingegen: Eine riesige Asphaltfläche am Hafen. Uncharmant, eng, funktional. Aber der Blick über das Wasser entschädigt. Überraschend: Es ist voll. Überall Schweden und Norweger, obwohl eigentlich keine Ferienzeit ist. Vielleicht ist das einfach ihre Art zu leben: raus, wann immer es geht.
Stellplatzidylle in Mariestad
Am Läckö Strand ist um 13:00 Uhr bereits kein Platz mehr frei – rappelvoll. Wir weichen auf einen kleinen, improvisierten Naturcampingplatz aus. Und wie so oft: Weniger Perfektion bedeutet mehr Atmosphäre. Läckö Slott, das barocke Schloss auf einer Halbinsel im Vänern, thront wie aus einem Märchen auf Felsen und Wiesen. Ursprünglich eine mittelalterliche Burg, wurde es später zur barocken Residenz umgebaut – mit weißen Türmen, Ziegeldächern und gepflegtem Kräutergarten (wo saisonbedingt noch nichts viel zu sehen war). Eine kleine Zeitreise.
Läckö Slot
Dann: Mellerud, Strandcamping wie an der Adria. Nur eben in Schweden – mit etwas weniger Sonne, vielleicht. Wir sind hier als Deutsche in der Minderheit. Überrascht mich. Ich hätte gedacht, dass das Bildungsbürgertum in größerer Zahl auf den Spuren von Astrid Lindgren, Selma Lagerlöf und Lars Lerin wandelt. Stattdessen: skandinavische Familienidylle.
Ganz in der Nähe: Skalleruds Kyrka, erneut eine Holzkirche. Klein, schlicht, aus dem 17. Jahrhundert. Aber mit einer besonderen Atmosphäre. Ich frage mich, wie ein so weltgewandtes, scheinbar säkularisiertes Land so viele und so schöne Kirchen hervorgebracht hat – und sie auch heute noch pflegt.
Inneres von Skallerud Kyrka
In Köpmannbro stoßen wir auf eine Schleuse des Dalslandkanals – einst Lebensader für den Transport von Holz und Eisen. Heute ein technisches Denkmal, das von besseren Zeiten erzählt. Kein Spektakel, aber still beeindruckend.
Ein paar Tage verbringen wir bei Karlstad am Nordufer des Vänern auf einem großen Platz. Karlstad selbst interessiert uns nicht, das ist eine Großstadt, um die wir gerne einen Bogen machen. Am Campingplatz: Rimini-Feeling. Ich merke: Ich werde zu alt für Kindergeschrei. Am zweiten Tag, als die meisten Camper weiterziehen, wird es ruhiger. Der See glitzert. Und wir bleiben noch ein bisschen.
Unterwegs nach Nordosten – Begegnungen, Pferde, Porphyr
Unser Weg führt nicht direkt nach Norden, sondern nach Nordosten, zurück Richtung Ostsee – genauer: zur Höga Kusten.
Unterwegs ein besonderer Moment: Wir besuchen jemanden, den ich nur über Twitter/X kenne. Ein digitales Gesicht (Ken) wird zum echten Menschen. Es ist nicht das erste Mal, dass aus digitalen Fäden echte Begegnungen werden. Und jedes Mal denke ich: Das Netz ist besser als sein Ruf.
Ein kleines Highlight mit großer Tradition: Nusnäs, Heimat der berühmten Dala-Pferde. Seit dem 18. Jahrhundert werden diese bunten Holzpferde geschnitzt und bemalt – ursprünglich als Spielzeug, heute als Symbol für Schweden. In der Werkstatt kann man zuschauen, wie aus einem Holzblock ein leuchtendes Pferd wird. Ein bisschen Kitsch, aber liebevoll gemacht. Gekauft haben wir keins.
Fast hätten wir eines gekauft
In Älvdalen besuchen wir ein Porphyrwerk. Wer weiß heute noch, dass dieser abgelegene Ort im 19. Jahrhundert zu den modernsten Industrieanlagen Europas zählte? Die Produkte – Vasen, Gebrauchsgegenstände, Sarkophage – gingen bis nach St. Petersburg und Paris. Die Überreste wirken heute fast poetisch: Ruinen, die Geschichten erzählen.
Industriegeschichte in Älvdalen
Auf dem Weg zur Höga Kusten – zwischen Hoffnung und Tundra
Je weiter wir nach Nordosten vordringen, desto mehr verändert sich die Landschaft. Die Wälder werden ausgedehnter – und zugleich leerer. Der Himmel spannt sich breiter über die Erde, das Licht scheint kühler - leider regnet es sehr viel. Das satte Grün des Südens weicht langsam einem Grau-Grün, das an Flechten, Fels und nordisches Schweigen erinnert. Irgendwo hier, sagt man, beginne die Tundra.
Und mit ihr das Reich der Elche. Die Straße, die wir nehmen, gilt als besonders „elchreich“. Laut Wildtierstatistik leben allein in Schweden über 300.000 Elche – viele davon im zentralen und nördlichen Inland. Es ist Elch-Hochsaison. Unsere Augen sind wach, die Smartphonekamera griffbereit.
Aber: kein Elch. Kein Geweih, kein Schatten zwischen den Bäumen, kein knirschender Ast im Unterholz. Was wir stattdessen finden: Stille. Und Weite. Das Gefühl, dass die Welt hier anders atmet. Langsamer, leiser, größer. Kein Funkmast weit und breit. Nur wir, das Summen der Reifen, und der Wind in den Baumkronen.
Eigentlich stand etwas anderes auf dem Programm: Wir wollten Fågelsjö Gammelgård besuchen – einen alten Museumsbauernhof, Teil des UNESCO-Weltkulturerbes der sogenannten „Hälsingegårdar“. Traditionelle Großbauernhöfe, prachtvoll bemalt, Zeugnisse einstiger schwedischer Selbstversorgungswirtschaft und bäuerlicher Kultur. Dazu: ein Abstecher zum Kupferbergwerk von Pockerbacken, einst Zentrum eines kleinen, aber wichtigen schwedischen Industriezweigs.
Doch das Schicksal (genauer: Google Maps) hat andere Pläne. Wir geraten auf eine endlose Schotterpiste durch den Wald, ohne Netz, ohne Orientierung. Die Strecke wird schmaler, immerhin werden die Schlaglöcher nicht tiefer. Ein Gefühl von Abenteuer – bis wir erkennen: Wir sind falsch. Also wenden. 20 Kilometer zurück durch den Busch. Ein kleiner Nerventest. Aber wir bestehen ihn.
Wie auf dem Dempster Highway. Nur halt in Schweden
Am Ende entscheiden wir: Abbruch der Museumspläne, Kurs auf Sundsvall, ein Zwischenstopp auf dem Weg zur Höga Kusten – jenem zerklüfteten Abschnitt der schwedischen Ostseeküste, der zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört. Granitklippen, Fjorde, dichte Wälder, Inseln, Nebel. Ein Ort, von dem man sagt, er zeige Schweden von seiner „ehrlichsten“ Seite. Wir sind gespannt.
Fortsetzung folgt.