ChatGPT und das schrumpfende Denken – Was eine MIT-Studie über KI und unser Gehirn verrät
Eine erste Gehirnscan-Studie bestätigt, was viele nur ahnten:
Mit ChatGPT lassen sich Aufgaben rund 60 % schneller lösen – aber der Preis ist hoch. Die kognitive Belastung, die unser Gehirn zum echten Lernen und Denken braucht, sinkt dabei um 32 %. Noch dramatischer: 83,3 % der ChatGPT-Nutzer konnten sich nicht an Texte erinnern, die sie Minuten zuvor selbst (mit KI-Hilfe) verfasst hatten.
Gleichzeitig zeigte die funktionale Gehirnvernetzung – also der Austausch zwischen verschiedenen Hirnarealen – einen Rückgang um 47 %.
Was bedeutet das?
Menschen, die sich zu stark auf digitale Tools verlassen, laufen Gefahr, genau das zu verlernen, was sie menschlich macht: eigenständiges Denken. Man könnte sogar provokant sagen: Dieser Effekt ist womöglich kein unbeabsichtigter Nebeneffekt – sondern ein gewollter.
Die erste Studie dieser Art: Was genau wurde untersucht?
Das MIT Media Lab veröffentlichte im Juni 2025 eine Vorab-Studie („Your Brain on ChatGPT…“, arXiv), die erstmals mit EEG-Messungen belegt, wie sich die Nutzung generativer KI auf unser Gehirn auswirkt. Insgesamt wurden 54 Teilnehmende über vier Monate hinweg regelmäßig getestet.
Dabei mussten sie Aufsätze zu Alltagsthemen schreiben – mal ohne Hilfsmittel, mal mit Google, mal mit ChatGPT (basierend auf GPT‑4o). Währenddessen wurde über ein tragbares EEG-Gerät kontinuierlich gemessen, wie stark und in welchen Bereichen das Gehirn aktiv war.
Das Ergebnis ist eindeutig: Je mehr Unterstützung durch KI, desto weniger Denkarbeit im eigenen Kopf.
Was das Gehirn dazu sagt – Die harten Zahlen
- Wer ohne KI arbeitete, zeigte die stärkste Hirnaktivität: Vernetzung, Aufmerksamkeit, kreative Anstrengung.
- Bei Google-Nutzung fiel die Konnektivität zwischen Hirnarealen um 34–48 %.
- Bei der Arbeit mit ChatGPT sank sie um bis zu 55 %.
- 83 % der KI-Nutzer erinnerten sich nicht mehr an ihre eigenen Texte – bei reiner Eigenarbeit lag dieser Wert bei nur 11 %.
- Der subjektive Eindruck „Ich hab das geschrieben“ schwand deutlich – Texte wirkten korrekt, aber seelenlos.
- Die kognitive Belastung (mental load) sank – messbar – um rund 32 %.
Was die Studie so besonders macht
Diese Ergebnisse wären schon alarmierend genug – doch die Methodik macht sie besonders belastbar:
- Es handelt sich um die erste neurologische Echtzeit-Studie dieser Art.
- Die EEG-Daten wurden mit Textanalysen, maschinellen Bewertungen und menschlichen Rückmeldungen kombiniert.
- Die Versuchsanordnung war longitudinal – das heißt, die Auswirkungen wurden über Wochen beobachtet, nicht nur punktuell.
- Besonders spannend: In der vierten Runde mussten die Gruppen wechseln – wer zuerst mit KI arbeitete, verlor beim Wechsel ohne KI deutlich an Leistung. Umgekehrt konnte die „Selber-Denken-Gruppe“ ihre Leistung durch späteren KI-Einsatz sogar steigern.
Die stille Gefahr: Kognitive Schulden
Die Forscher sprechen von einer Art „cognitive debt“ – also kognitiven Schulden. Das bedeutet: Man spart sich kurzfristig Anstrengung, zahlt aber langfristig mit Denkverlust. So wie man durch das Autofahren zwar schneller ist, aber das Gehen verlernt – verlernen wir beim Dauergebrauch von KI das Denken.
Und wie bei finanziellen Schulden gilt: Wenn man ständig in den Dispo geht, leidet langfristig die Substanz.
Müssen wir jetzt auf KI verzichten?
Nein. Die gute Nachricht: Nicht alle verlieren.
Menschen mit klarer Struktur im Denken – mit einem geübten, wachen Geist – konnten durch die Nutzung von KI sogar zulegen. Ihre Gehirnvernetzung blieb stabil oder stieg sogar leicht.
Was sie anders machten:
- Sie nutzten ChatGPT nicht als Ersatz, sondern als Werkzeug.
- Sie dachten vorher selbst, bevor sie den Prompt formulierten.
- Sie reflektierten die Antworten, passten sie an, entwickelten sie weiter.
Der Schlüssel liegt also im bewussten Umgang mit der KI – und in der Bereitschaft, das eigene Denken nicht zu delegieren, sondern zu gestalten.
Fazit: KI verändert uns – aber wie, das entscheiden wir
Wir stehen an einem Scheideweg.
Entweder wir nutzen KI wie ein Muskeltraining – als Reibungsfläche, als Spiegel, als Partner im Denken.
Oder wir lassen sie für uns denken – und verlernen es selbst.
Die Studie aus dem MIT zeigt eindrücklich, dass ChatGPT und Co. nicht nur Arbeit abnehmen, sondern uns auch etwas wegnehmen können: unsere kognitive Eigenständigkeit. Ob das ein zufälliger Nebeneffekt ist – oder ein still akzeptierter Nutzen – bleibt offen.
Doch eines ist klar: Wer klug fragt, muss auch klug denken können.
Quellen im Überblick:
– Originalarbeit “Your Brain on ChatGPT…” von Kos’myna et al. (arXiv, 10. Juni 2025)
– Presseberichte z.B. Time, The Register, EdTech – zur EEG-Messung und “cognitive debt”