Orcas im Fjord.
Zunächst geht es entlang des Porsangerfjords Richtung Süden – und der Tag beginnt mit einem Geschenk: In einer geschützten Bucht tummeln sich mehrere Orcas, scheinbar spielerisch, in harmonischem Zusammenspiel. Whale Watching vom Wohnmobilfenster aus – die Arktis zeigt sich noch einmal von ihrer magischen Seite.
Der Porsangerfjord, drittgrößter Fjord Norwegens, ist nach Anders Porsanger benannt – dem ersten Samischen Gelehrten mit akademischer Ausbildung im 18. Jahrhundert. Er war Sprachwissenschaftler und setzte sich für den Erhalt der samischen Sprache ein – was damals alles andere als selbstverständlich war.
Lapplands Weite und das Märchen vom Elch.
Ab Lakselv folgt die Route erneut dem Fjord, diesmal nordwärts, dann hinein in eine weite Hochebene – eine Landschaft, wie sie für Lappland typisch ist: endlose Weite, niedrige Vegetation, und hin und wieder ein Rentier am Straßenrand. Sogar ein Rehbock kreuzt unseren Weg – doch Elche? Fehlanzeige. Trotz Warnschildern aller Art bleiben sie Geister der nordischen Legende. Vielleicht gibt es sie wirklich nicht – ein Märchen, erfunden von Tourismusbehörden, um die Straßen aufregender wirken zu lassen.
Verpasste Kiesel, baustellenartige Idylle.
Eigentlich wollten wir bei Torhop einen Abstecher zu den berühmten „rollenden Steinen“ machen – ein geologisch besonderes Phänomen am Tanafjord: Über Jahrhunderte wurden hier Kieselsteine durch die Kraft des Meeres blank poliert. Ein Strand wie ein Glas voller Bonbon-Kiesel. Doch der Weg dorthin – laut Komoot „leicht begehbar“ – ist in Wirklichkeit ein schmaler, steiler Trampelpfad, auf dem man mehr klettern als spazieren geht. Trittsicherheit bei uns? Fehlanzeige. Also lassen wir es bleiben, wenden und steuern in Tana Bru einen Campingplatz an, der den Charme einer Dauerbaustelle versprüht. Immerhin: Wir haben Kuchen dabei. Und das ist auf solchen Etappen etwas, das zählt.
Vardø: Norwegens vergessener Außenposten.
Weiter Richtung Nordosten, zur Barentssee. Das Wetter wird rauer – kalt, stürmisch, regnerisch. Unser nächstes Ziel ist Vardø, die östlichste Stadt Norwegens – weiter östlich als Istanbul, sogar als St. Petersburg. Wir finden einen Stellplatz am Hafen, halbwegs windgeschützt, und warten auf besseres Wetter. Oder zumindest auf eines, das uns nicht gleich aus dem Wohnmobil weht.
Vardø – das ist Norwegens vergessener Außenposten. Eine Stadt mit schwerer Geschichte. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg war sie strategisch wichtig – ihre Nähe zur Sowjetunion machte sie zum sensiblen Ort. Nach dem Krieg folgte ein langer Niedergang. Industrie, Arbeitsplätze, Perspektiven – vieles verschwand. Die Bevölkerungszahl sinkt seit Jahrzehnten. Heute ist Vardø die am schnellsten schrumpfende Stadt Norwegens. Wer Lost Places sucht, wird hier fündig – leerstehende Häuser, aufgegebene Läden, verfallene Kasernen. Man hat das Gefühl, einer Stadt beim Sterben zuzusehen.
Und doch: Inmitten all dieser Tristesse ein zaghafter Lichtblick. Junge Künstlerinnen und Künstler versuchten, Vardø neues Leben einzuhauchen. Street-Art-Projekte wie das „Komafest“ haben einige wenige bunte Farbtupfer in die Stadt gebracht.
Auch sonst gibt es Spannendes zu entdecken: Eine alte Festung mit Blick über das Fort – samt historischen Kanonen. Drei davon entstammen neuerer Vergangenheit, sind offenbar noch funktionsfähig, richten sich irritierenderweise direkt gen Russland. Relikt vergangener Spannungen oder bewusstes Zeichen...?
Berührend auch das Mahnmal zur Erinnerung an die Hexenprozesse des 17. Jahrhunderts: 91 Menschen wurden hier als Hexen hingerichtet – heute erinnert eine eindrucksvolle Gedenkstätte an ihr Schicksal. Ich frage mich: Gibt es etwas Vergleichbares bei uns in Deutschland? Immerhin waren wir in der Kunst der Menschenvernichtung mehr als einmal ganz vorn dabei.
Vardø ist kein Ort zum Verweilen – aber einer zum Nachdenken. Über Verfall und Neubeginn. Über Vergessen und Erinnerung. Über das, was war – und das, was vielleicht wieder werden könnte. Verweilt haben wir letztlich doch drei Tage, weil wir besseres Wetter abwarten wollten um weiterzufahren.
Make the North great again - ein Spruch der Verzweiflung
Mahnmal der Hexenverbrennungen in Vardø
Fischereibetriebe im Niedergang
Ausflug ans Ende Europas.
Spektakulär ist die Fahrt von Vardø nach Hamningberg. Die schmale Küstenstraße windet sich durch eine karge, fast außerirdisch wirkende Landschaft: dunkle Lavafelsen, offene Tundra, und immer wieder das gleißende Aufblitzen der Barentssee. Links das Meer, rechts der Himmel – dazwischen nichts, was ablenkt.
Und dann, ganz am Ende der Welt, taucht es plötzlich auf: Hamningberg. Der Stellplatz ist leider im Bau, aber es gibt ein kleines Café und für einen Spaziergang reicht es allemal.
Hamningberg - hier geht es nicht mehr weiter
Italienische Luftfahrtrelikte im norwegischen Norden.
Dann wieder entlang desVarangerdjords nach Süden, nach Vadsø. Hier gibt es ein Relikt aus dem 20ern:
Mitten auf der kleinen Insel Vadsøya ragt ein 35 Meter hoher Metallmast in den Himmel – heute rostig und still, einst ein Tor zur Arktis. 1926 wurde er errichtet, um das italienische Luftschiff Norge unter Leitung von Roald Amundsen und Umberto Nobile aufzunehmen – auf dem Weg zum Nordpol.
Zwei Jahre später dockte hier erneut ein Luftschiff an: die Italia, die nach ihrer Nordpolfahrt verunglückte. Der Mast war ihre letzte Station vor dem Drama im Eis, das Luftschiff stürzte im Nordpolarmeer auf eine Eisscholle. Das Unglück zog damals die größte Seenotrettungsaktion der Geschichte nach sich.
Heute steht der Mast als Denkmal der Pionierzeit der Polarluftfahrt. Kaum ein Ort in Europa ist so eng mit der frühen Erforschung des Nordpols verbunden wie dieser unscheinbare Metallriese am Rand der Welt.
Vadsjø - Luftschiffmast mit bewegter Geschichte
Mücken, Lachse und die Nähe zu Russland.
Mit einem großen Schlenker um den Varangerfjord fahren wir weiter nach Neiden – ein Ort, der sich bescheiden zwischen Stromschnellen und Birkenwäldern versteckt. Die Gegend ist berühmt für ihre Lachsgewässer: Im Sommer tummeln sich hier Angler aus aller Welt (auf dem Campingplatz steht ernsthaft ein Maybach aus Dubai), in der Hoffnung, einen der mächtigen Atlantiklachse zu erwischen. In Neiden gibt es sogar eine eigene Lachstreppe, die den Fischen das Wandern erleichtert – und den Menschen das Zuschauen - wir sehen keine.
Weniger willkommen, aber allgegenwärtig: Mücken. Sie sind hier nicht einfach nur lästig, sie sind Legion. Und da weit und breit kein anderer Campingplatz zu finden ist, nehmen wir die quälende Gesellschaft zähneknirschend in Kauf. Natürlich könnten wir auch freistehen – rein technisch kein Problem, aber emotional womöglich ein Beziehungstest. Wir entscheiden uns für die friedlichere Variante: Stromanschluss, Duschen – und ein Rückzugsort mit Fliegengitter.
Spuren russischer Geschichte in Neiden
Am nächsten Tag fahren wir weiter nach Kirkenes, der letzten Stadt vor der russischen Grenze. Kurz vor der Ortseinfahrt biegt rechts die E105 ab – Richtung Murmansk. Nur 200 Kilometer, sagt das Schild. Auf der Landkarte ein Katzensprung. In der Realität eine derzeit schier unüberwindbare Grenze – v.a. politisch, weniger kulturell. Und seit dem Ukraine-Krieg leider ganz konkret.
Kirkenes selbst wirkt schmucklos, fast schon trotzig funktional. Ein Ort, der eher als Knotenpunkt denn als Ziel erscheint. Und das war er immer schon: ein Hafen im Wandel der Zeiten – von der strategischen Stellung im Zweiten Weltkrieg über den Eisenerz-Bergbau bis zur Gegenwart, wo Hurtigruten-Schiffe anlegen und Grenztouristen auf der Suche nach dem „Ende Europas“ vorbeikommen. Für uns ist Kirkenes vor allem eins: ein kurzer Halt auf dem baldigen Weg nach Süden.